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Sexueller Übergriff – Was tun, wenn es dir passiert ist?

Vielleicht liest du diese Zeilen und spürst, wie sich dein Magen zusammenzieht. Vielleicht liest du sie, weil in dir eine Erinnerung schlummert, die du bisher tief vergraben hast. Vielleicht liest du sie auch, weil du jemanden liebst, der so etwas erlebt hat – und du nicht weisst, wie du helfen kannst.


Egal, wer du bist: Du bist hier willkommen. Und ich möchte dir sagen – du bist nicht allein.


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Wie alles begann

Ich schreibe diese Zeilen aus einem Teil meines Herzens, der lange verschlossen war. Ich habe als Kind über mehrere Jahre sexuelle Übergriffe von meinem damaligen Stiefvater erlebt. Das Unfassbare daran war nicht nur die Tat selbst, sondern auch das Gefühl, das damit verbunden war: Ein verwirrendes, krankes Gefühl von „Liebe“.


Etwas, das für Aussenstehende unvorstellbar klingt, für viele Betroffene aber erschreckend vertraut ist. Es war ein klassischer Machtmissbrauch Und das Schlimmste daran ist: Solche Taten geschehen oft durch Menschen, denen wir unser Herz, unser Vertrauen, ja unser Leben anvertrauen.

Jemand, der uns eigentlich schützen sollte, überschreitet eine Grenze, aus der es kein Zurück mehr gibt. Diese tiefe Verletzung sitzt im Innersten, reisst Wunden in Körper und Seele, errichtet Mauern und zieht uns zurück in einen Raum, in dem nichts mehr so ist wie vorher.


Der Moment danach

Wenn so etwas geschieht, bleibt oft ein Schockzustand zurück. Die Welt wirkt plötzlich fremd, als würde man durch Nebel laufen. Man versteht nicht, was passiert ist, oder will es nicht verstehen.

Man vergisst, verdrängt, verharmlost, redet sich ein, es wäre vielleicht gar nicht so schlimm gewesen. Manchmal schützt man sogar den Täter – aus Angst, ihm könnte etwas passieren. Man steht völlig neben sich und erkennt sich selbst nicht mehr wieder.

Heute weiß ich: Das war mein Körper, der mich schützen wollte. Unser System ist unglaublich. Es kann Gefühle abschalten, Mauern hochziehen, uns von uns selbst distanzieren – alles nur, damit wir überleben.

Dieser Mechanismus rettet uns in der Krise. Aber wenn wir dort bleiben, raubt er uns Jahre unseres Lebens.


Das lange Schweigen

Ich habe lange geschwiegen. Sehr lange. So lange, dass das Schweigen zu einem Teil von mir wurde. Ich habe den Täter sogar in Schutz genommen – nicht, weil ich wollte, dass er davonkommt, sondern weil ich die Wahrheit selbst nicht ertragen konnte.

Erst nach über zehn Jahren habe ich zum ersten Mal überhaupt darüber gesprochen. Ich erinnere mich noch genau an diesen Moment: Meine damalige Begleiterin schaute mich an und sagte leise, aber mit einer Klarheit, die mein Herz traf: „Du hast keine Schuld.“


Es war, als würde ein erster, hauchdünner Riss in die Mauer aus Schweigen und Scham fallen. Dieser Satz war der erste wirkliche Schritt in Richtung Heilung.

Doch das Schwerste kam erst danach: Mit meiner engsten Familie darüber zu sprechen. Wahrscheinlich hielt mich so lange die Angst zurück – Angst, nicht verstanden zu werden, Angst, verurteilt zu werden, Angst, dass sich die alten Wunden wieder aufreissen.

Und doch war auch dieser Schritt heilsam. Als ich letztes Jahr meiner Schwester davon erzählte, begriff ich zum ersten Mal wirklich, was damals geschehen war. Es war, als hätte ich all die Jahre ein Puzzle mit fehlenden Teilen betrachtet – und plötzlich lag das Bild klar vor mir.


Das Schweigen hatte mich all die Jahre begleitet – wie eine unsichtbare Kette um meinen Hals, die mir die Luft nahm. Und ich weiss: Dieses Schweigen passiert so vielen von uns.

Vielleicht, weil wir Angst haben, nicht geglaubt zu werden. Vielleicht, weil wir befürchten, dass alles nur noch schlimmer wird. Vielleicht auch, weil wir denken, wir seien die Einzigen, denen so etwas passiert ist. Oder aus Scham, von der Gesellschaft nicht verstanden zu werden – abgelehnt zu werden – und aus Angst, diesen Schmerz wieder und wieder fühlen zu müssen.

Doch ich habe gelernt: Mit unserem Schweigen tun wir uns selbst keinen Gefallen. Und auch nicht der Gesellschaft. Denn jede unausgesprochene Wahrheit hält das System am Laufen, das uns verletzt hat. Wir dürfen es aussprechen. Wir müssen es aussprechen. Denn wir sind nicht falsch. Falsch ist, was uns angetan wurde. Die Wahrheit ist: Es passiert täglich. Nicht irgendwo weit weg. Sondern hier, mitten unter uns.


Der schmerzhafte Weg zur Heilung

Heilung ist kein sanftes, warmes Licht, das einfach über dich kommt. Es ist eher ein langsames Öffnen einer Tür, hinter der der Schmerz sitzt, den du so lange ausgesperrt hast. Es bedeutet, hinzusehen, auch wenn du dich am liebsten wegdrehen würdest. Es bedeutet, zu fühlen, was du all die Jahre nicht fühlen wolltest.

Ich will ehrlich sein: Das tut weh. Manchmal wirst du denken, dass es zu viel ist. Aber in genau diesen Momenten beginnt dein Herz, wieder zu atmen.

Du musst diesen Weg nicht allein gehen. Hilfe anzunehmen ist keine Schwäche – im Gegenteil, es ist ein Zeichen von Stärke und Grösse.

Ja, es wird eine Narbe bleiben. Doch du kannst entscheiden, ob sie eine offene, blutende Wunde bleibt, oder ob sie heilen darf – sodass sie dich zwar begleitet, aber nicht mehr dein Leben bestimmt.


Raus aus der Opferhaltung – zurück in deine Kraft

Eines habe ich auf meinem Weg gelernt: Solange wir innerlich in der Opferrolle bleiben, lebt der Täter in uns weiter. Nicht, weil wir das wollen, sondern weil wir ihm – unbewusst – weiter Macht über unser Leben geben.

Verantwortung für mein Leben wieder zu übernehmen, war der schmerzhafteste, aber auch der befreiendste Schritt. Verantwortung übernehmen bedeutet nicht, dass das, was passiert ist, in Ordnung war. Es bedeutet nicht, dass du Schuld trägst.

Es bedeutet, dass du die Entscheidung triffst: „Ab heute bestimme ich, wie mein Leben weitergeht.“

Es ist ein Akt der Selbstliebe, aus dem inneren Gefängnis auszutreten. Es ist der Moment, in dem du beginnst, deine Geschichte neu zu schreiben – nicht als Opfer, sondern als Überlebende, als Gestalterin deines eigenen Lebens.

Und ja, dieser Schritt braucht Mut. Doch in dem Moment, in dem du ihn gehst, beginnt deine Freiheit.


Was mich zurück ins Leben gebracht hat

Für mich war dieser Missbrauch nicht nur eine Verletzung meines Körpers, sondern auch eine tiefe Wunde in meinem Herzen und meiner Fähigkeit zu lieben. Jahrelang lebte ich mit dem Glauben, ich müsse Sex geben, um Liebe zu erhalten. Ein zerstörerischer Glaubenssatz, der mich immer wieder in Situationen brachte, die mich weiter von mir selbst entfernten.

Der Wendepunkt kam, als ich Tantra entdeckte. Tantra hat mir geholfen, wieder in meinen Körper zurückzukehren. Nach dem Missbrauch war ich völlig von mir selbst abgeschnitten. Ich fühlte nichts mehr.

Durch tantrische Körperarbeit konnte ich meinen Körper wieder spüren, annehmen und ihm danken, dass er mich all die Jahre getragen hat – trotz allem.

Ich habe gelernt, mein Herz Stück für Stück wieder zu öffnen. Ja, das Risiko, erneut verletzt zu werden, bleibt. Aber jetzt entscheide ich, wem ich mein Herz schenke. Ich setze klare Grenzen.


Wenn es dir passiert ist – deine ersten Schritte


  • Sprich darüber – wähle jemanden, dem du vertraust.

  • Hole Dir Hilfe - verbinde dich mit Menschen die dich verstehen und dir helfen können

  • Schreibe deine Geschichte auf – nicht für andere, sondern für dich.

  • Achte auf deinen Körper – kleine Rituale wie bewusstes Atmen, sanfte Bewegung, Spaziergänge.

  • Erinnere dich: Du bist unschuldig – immer.


Für alle, die helfen wollen

  • Glaube ihr, ohne zu hinterfragen.

  • Höre zu, ohne Ratschläge aufzudrängen.

  • Sei da – manchmal ist das mehr wert als jede Erklärung.


Es gibt ein Leben danach

Trauma kann dich Jahre, sogar Jahrzehnte gefangen halten. Aber Heilung ist möglich. Mit jedem Schritt, jeder Träne, jedem Moment der Wahrheit wird es leichter.

Du bist nicht das, was dir passiert ist. Du bist das, was du daraus machst.

Ich bin keine Psychologin oder Traumatherapeutin. Ich teile hier meine persönliche Erfahrung, meinen Heilungsweg und das, was ich aus meinen Weiterbildungen gelernt habe.

Ich möchte dich ermutigen: Trau dich, den Weg der Heilung zu gehen – egal, wie schwer er scheint. Es wird leichter. Du wirst lernen, mit dem Schmerz zu leben, ohne dass er dich bestimmt. Du kannst wieder fühlen, leben, lieben und frei sein.


Wenn du magst, teile deine Gefühle oder Erlebnisse. Lass uns verbinden – gemeinsam können wir schneller heilen.

 
 
 

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